Haben Sie eine Kündigung wegen des Vorwurfs der sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz erhalten und möchten sich informieren, wie Sie sich dagegen wehren können?
In vielen Fällen kann der Arbeitgeber eine fristlose Kündigung aussprechen, ohne dass eine vorherige Abmahnung erforderlich ist. Doch was genau gilt als sexuelle Belästigung, und welche rechtlichen Schritte können Arbeitnehmer unternehmen, wenn ihnen eine Kündigung droht?
In diesem Artikel erfahren Sie, was rechtlich unter sexueller Belästigung fällt (dazu unter 1.), unter welchen Bedingungen eine ordentliche oder fristlose Kündigung gerechtfertigt ist (dazu unter 2.), wie der Ablauf eines Kündigungsprozesses aussieht (dazu unter 3.), welche Optionen Arbeitnehmer haben, wenn sie eine Kündigung erhalten (dazu unter 4.), und wie die Beteiligung des Betriebsrats in diesem Zusammenhang aussieht (dazu unter 5.).
Wir beantworten zudem häufige Fragen (dazu unter 6.) und geben einen Überblick über relevante Urteile (dazu unter 7.).
1. Was fällt rechtlich unter sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz?
Jegliche Formen von unerwünschtem sexuellem Verhalten, die die Würde der betroffenen Person verletzt, fällt unter den Begriff der sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz.
Dazu gehören beispielsweise:
- Anzügliche Bemerkungen
Kommentare eines Kollegen z.B. über das Aussehen, sexuelle Anspielungen oder obszöne Witze, die eine Person als unangemessen empfindet.
- Unerwünschte Berührungen
Nicht einvernehmliche körperliche Übergriffe, wie Umarmungen, Küsse oder Berührungen.
- Unangemessene Nachrichten
Das Versenden von E-Mails oder Textnachrichten mit sexuell anstößigem Inhalt, Bildern oder Videos.
Im Einzelfall kann die Beurteilung unangemessenen Verhaltens schwierig sein, da die Grenze zwischen einem harmlosen Flirt zwischen Kollegen und sexueller Belästigung oft fließend ist. Entscheidend ist dabei, dass das Verhalten von der betroffenen Person als unwillkommen und beleidigend wahrgenommen wird. Auch wenn es sich um einmalige Vorfälle handelt, kann bereits eine schwerwiegende Handlung zu einer – ggf. außerordentlichen – Kündigung führen.
Beispiel: Ein Arbeitskollege kommentiert wiederholt und auf anzügliche Weise das Aussehen einer Kollegin. Diese hat ihn bereits mehrfach gebeten, damit aufzuhören. Sein Verhalten kann als sexuelle Belästigung gewertet werden, da es unerwünscht ist und die betroffene Person in ihrer Würde verletzt.
Merke: Sexuelle Belästigung umfasst unerwünschtes Verhalten, das die Würde der betroffenen Person verletzt (§ 3 Abs. 4 AGG).
2. Müssen Arbeitgeber wegen sexueller Belästigung kündigen?
Ob Arbeitgeber im Rahmen einer sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz direkt kündigen müssen, ist von Fall zu Fall unterschiedlich. Bestimmte Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit eine solche verhaltensbedingte Kündigung – gar ohne vorherige Abmahnung – rechtlich wirksam ist.
Voraussetzungen einer Kündigung wegen sexueller Belästigung sind u.a.:
- Schwere des Verstoßes: Das Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber ist durch einen Vorfall der sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz irreparabel beschädigt. Hierin liegt ein schwerwiegender Vertragsverstoß. Arbeitgeber haben Ihre Arbeitnehmer im Rahmen ihrer Fürsorgepflicht vor solchen Belästigungen zu schützen. In besonders schweren Fällen, wie bei körperlichen Übergriffen (z.B. Griff in den Schritt), ist eine außerordentliche Kündigung ohne Abmahnung gerechtfertigt. Solche Kündigungen sind regelmäßig wirksam.
- Beispiel 1: Arbeitnehmer, schickt einer Kollegin ohne deren Zustimmung sexuell anzügliche Nachrichten und ein Bild seiner Genitalien per WhatsApp, können sofort gekündigt werden.
- Abmahnung bei weniger gravierenden Verstößen: Weniger schwerwiegende Verstöße, wie beispielsweise unangemessene Kommentare oder leicht verbale Übergriffe, ist zunächst eine Abmahnung erforderlich. Arbeitnehmer erhalten so eine Chance, ihr Verhalten zu ändern. Erst wenn das Verhalten fortgesetzt wird, kann eine Kündigung folgen. Arbeitgeber haben jedoch vor Ausspruch einer Kündigung stets das Mildeste zur Verfügung stehende Mittel zu wählen.
- Beispiel 2: Arbeitnehmer, der einmalig einen unangemessenen Witz macht, kann zunächst abgemahnt werden. Wenn er nach der Abmahnung weiterhin unpassende Bemerkungen macht, kann eine Kündigung gerechtfertigt sein.
- Beweislast: Arbeitgeber müssen den Vorwurf der sexuellen Belästigung eindeutig nachweisen können. Dies kann durch Zeugenaussagen, Nachrichtenverläufe oder andere Beweismittel geschehen. Ein bloßer Verdacht oder Gerüchte reichen nicht aus, um eine Kündigung zu rechtfertigen.
- Beispiel 3: Zeugenaussagen können beispielsweise durch eine Kollegin geschehen, die vor Gericht auftritt und bestätigt, dass ihr Kollege auch sie wiederholt gegen ihren Willen berührt hat. Ebenso kann die Vorlage von unangemessenen Textnachrichten als Beweis dienen.
Mehr zum Thema verhaltensbedingte Kündigung lesen Sie hier.
Merke: Eine fristlose Kündigung ohne Abmahnung ist bei schwerwiegenden Verstößen möglich (§ 626 BGB).
3. Verfahren einer Kündigung wegen sexueller Belästigung
Das Verfahren bei einer Kündigung wegen (angeblicher) sexueller Belästigung unterscheidet sich in seiner Dringlichkeit und den Schritten kaum von anderen verhaltensbedingten Kündigungsarten.
Grundsätzlich läuft das Kündigungsverfahren wie folgt ab:
- Arbeitgeberseitige interne Untersuchungen: Arbeitgeber müssen den Vorfall zunächst untersuchen und Beweise sammeln, da Gerüchte oder Verdachtsmomente regelmäßig keine Kündigung rechtfertigen. Dies kann durch die Befragung von Zeugen oder die Überprüfung von schriftlichen Nachrichten geschehen.
- Anhörung des Arbeitnehmers: Dem beschuldigten Arbeitnehmer muss vor der Kündigung die Gelegenheit gegeben werden, sich zu den Vorwürfen zu äußern. Hierin liegt ein wichtiger Teil des Verfahrens.
- Abmahnung oder Kündigung: Abhängig von der Schwere des Vorfalls und der vorhandenen Beweise erfolgt entweder eine Abmahnung oder eine fristlose Kündigung ohne Abmahnung. Eine außerordentliche Kündigung beendet das Arbeitsverhältnis sofort, ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist.
Merke: Der Arbeitgeber trägt die Beweislast – bloße Verdachtsmomente reichen nicht aus.
4. Wie können Arbeitnehmer sich gegen eine Kündigung wegen sexueller Belästigung wehren?
Auch wenn der Vorwurf der sexuellen Belästigung schwer wiegt, haben Arbeitnehmer das Recht, gegen eine Kündigung vorzugehen. Oftmals lohnt es sich, eine Kündigungsschutzklage einzureichen. Im Rahmen einer Kündigungsschutzklage sind insbesondere die Fristerfordernisse einzuhalten.
Folgende Punkte sollten beachtet werden:
- Prüfung der Kündigung
Sie sollten die Kündigung stets auf Fehler untersuchen. Ein typischer Fehler des Arbeitgebers kann beispielsweise eine unzureichende Beweislage sein. Ein Anwalt für Arbeitsrecht kann prüfen, ob der Arbeitgeber die Vorwürfe ausreichend belegen kann. Kündigungen sind ohne ausreichende Beweise oft angreifbar.
- Verhältnismäßigkeit der Kündigung („ultima-ratio“)
Wichtig ist zu überprüfen, ob die Kündigung das mildeste bzw. verhältnismäßigte Mittel war. In weniger schweren Fällen kann oft auch eine Abmahnung ausreichend sein.
- Klagefrist
Eine der wichtigsten Voraussetzungen im Rahmen einer Kündigungsschutzklage ist die Klagefrist. Die Kündigungsschutzklage muss innerhalb von drei Wochen nach Erhalt der Kündigung beim Arbeitsgericht eingereicht werden. Wird diese Frist versäumt, dann gilt die Kündigung als wirksam.
Anwälte für Arbeitsrecht können Ihnen helfen, Ihre Erfolgsaussichten zu beurteilen und Sie im Kündigungsschutzverfahren zu vertreten.
Merke: Eine Kündigungsschutzklage muss innerhalb von drei Wochen nach Erhalt der Kündigung eingereicht werden.
5. Vorwürfe wegen sexueller Belästigung: Wie sieht die Beteiligung des Betriebsrats bei Kündigung aus?
Der Betriebsrat spielt bei Vorwürfen sexueller Belästigung eine wichtige Rolle, insbesondere wenn eine Kündigung im Raum steht. Arbeitgeber sind verpflichtet, den Betriebsrat vor jeder Kündigung anzuhören (§ 102 BetrVG). Der Betriebsrat kann Einwände erheben, insbesondere wenn er die Vorwürfe für ungerechtfertigt hält. Die endgültige Entscheidung liegt jedoch stets beim Arbeitgeber. Bei sexueller Belästigung am Arbeitsplatz hat der Betriebsrat eine besondere Sorgfaltspflicht gegenüber den Arbeitnehmern, die vor Diskriminierung und Belästigung am Arbeitsplatz geschützt werden müssen, einzuhalten.
Er kann insofern Maßnahmen fordern, um betroffene Arbeitnehmer zu schützen oder auch zur Mediation beitragen. Über das Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses kann der Betriebsrat dennoch keine Entscheidung treffen. Dieser wirkt im Rahmen seiner gesetzlich vorgegebenen Mitbestimmungsrechte mit.
Merke: Der Betriebsrat muss vor jeder Kündigung angehört werden, kann diese aber nicht verhindern.
6. Häufige Fragen zur Kündigung wegen sexueller Belästigung
a) Können Arbeitnehmer ohne vorherige Abmahnung fristlos gekündigt werden?
Ja, liegt ein schwerwiegender Verstoß vor, wie beispielsweise bei körperlichen Übergriffen, ist eine Kündigung ohne vorherige Abmahnung möglich.
b) Was ist die Konsequenz, wenn der Vorwurf nicht bewiesen werden kann?
Eine Kündigung ohne konkrete Beweise ist in der Regel unwirksam. Arbeitnehmer sollten in diesem Fall eine Kündigungsschutzklage einreichen. Sie können dies bei dem für Sie zuständigen Arbeitsgericht tun oder sich anwaltlich beraten lassen.
c) Wie lange habe ich Zeit, um gegen die Kündigung vorzugehen?
Sie haben drei Wochen nach Erhalt der Kündigung Zeit, um eine Kündigungsschutzklage einzureichen. Verpassen Sie diese Frist, gilt die Kündigung, unabhängig der tatsächlichen Lage, als wirksam.
d) Wie kann ich mich wehren, wenn ich zu Unrecht beschuldigt werde?
Werden Sie zu Unrecht beschuldigt, dann lassen Sie sich umgehend anwaltlich beraten und prüfen Sie, ob ihr Arbeitgeber genügend Beweise für die Vorwürfe vorlegen kann.
e) Habe ich ein Recht auf Abfindung bei einer Kündigung wegen sexueller Belästigung?
Eine Abfindung in diesem Zusammenhang kann in seltenen Fällen ausgehandelt werden, wenn die Kündigung unklar oder juristisch anfechtbar ist. Grundsätzlich richten sich Abfindungen nach den Erfolgsaussichten der Kündigungsschutzklage, welche bei Vorwürfen sexueller Belästigung gering sind. Unseren Abfindungsrechner finden Sie hier.
f) Habe ich einen Anspruch auf Arbeitslosengeld?
Ob ein Anspruch auf Arbeitslosengeld besteht, ist einzelfallabhängig. Dabei gilt grundsätzlich: stellt die Agentur für Arbeit fest, dass sie die Kündigung durch ihr Verhalten selbst verursacht haben, dann kann eine sog. „Sperrzeit“ verhängt werden. Die Sperrzeit kann bis zu 12 Wochen dauern. In dieser Zeit erhalten Sie kein Arbeitslosengeld. Nur in wenigen Ausnahmen wird von der Sperrzeit im Rahmen von verhaltensbedingten Kündigungen abgesehen.
Merke: Eine Sperrzeit beim Arbeitslosengeld kann drohen, wenn der Arbeitnehmer die Kündigung selbst verschuldet hat.
7. Rechtsprechung zur Kündigung wegen sexueller Belästigung
- Eine sexuelle Belästigung iSv. § 3 Abs. 4 AGG stellt nach § 7 Abs. 3 AGG eine Verletzung vertraglicher Pflichten dar. Sie ist „an sich“ als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB geeignet. Ob sie im Einzelfall zur außerordentlichen Kündigung berechtigt, ist abhängig von den Umständen des Einzelfalls, u.a. von ihrem Umfang und ihrer Intensität (BAG 20.11.2014 – 2 AZR 651/13).
- Die absichtliche Berührung primärer oder sekundärer Geschlechtsmerkmale eines anderen ist sexuell bestimmt iSd. § 3 Abs. 4 AGG. Es handelt sich um einen Eingriff in die körperliche Intimsphäre. Auf eine sexuelle Motivation der Berührung kommt es nicht an (BAG 29.06.2017 – 2 AZR 302/16).
- Eine Entblößung der Genitalien eines anderen unter Missachtung seines Rechts auf Selbstbestimmung, wem gegenüber und in welcher Situation er sich unbekleidet zeigen möchte, stellt ein sexuell bestimmtes Verhalten iSv. § 3 Abs. 4 AGG dar (BAG 20.05.2021 – 2 AZR 596/20).
- Eine Kündigung aus wichtigem Grund wegen eines sexuellen Übergriffs ist gerechtfertigt, wenn nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme feststeht, dass ein männlicher Arbeitnehmer eine Kollegin mit einer Hand erst in ihren Schritt gefasst hat, sich dann selbst in den Schritt fasst und anschließend „Oh, da tut sich ja was“ ausruft (LAG Köln 19.06.2020 – 4 Sa 644/19).
- Die unerwünschte Zusendung pornografischer Videos über einen Messenger-Dienst (WhatsApp) an eine Arbeitskollegin ist als Grund „an sich“ geeignet, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Eine sexuelle Belästigung ist bereits kraft Gesetzes untersagt; einer ausdrücklichen vorherigen Ablehnung durch die oder den Betroffene/n bedarf es nicht. Es ist Sache des Versenders pornografischer Videos, sich eines Einverständnisses des Empfängers zu versichern. Eine vorherige Abmahnung kann bei einer unerwünschten Zusendung pornografischer Videos entbehrlich sein (LAG Mecklenburg-Vorpommern 05.03.2020 – 5 TaBV 9/19).
Haben Sie eine Kündigung wegen sexueller Belästigung erhalten und fühlen sich ungerecht behandelt? Lassen Sie sich durch einen fachkundigen Anwalt in diesem Zusammenhang beraten – wir verteidigen Ihre Rechte vor Gericht.
