Haben Sie bei der Arbeit oder auf dem Weg zur Arbeit einen Unfall erlitten? Möchten Sie sich informieren, ob Sie einen Anspruch auf Schadensersatz haben? Ein Arbeitsunfall kann schwerwiegende Folgen haben – gesundheitlich, finanziell und emotional.
Im folgenden Artikel erklären wir zunächst, was unter einen „Arbeitsunfall“ fällt, und stellen Beispiele dar (dazu unter 1.). Danach werden Ihre Ansprüche als Arbeitnehmer bei einem Arbeitsunfall aufgezeigt (dazu unter 2.), und welche möglichen rechtlichen Schritte in Betracht kommen (dazu unter 3.).
Im Anschluss erläutern wir, was Sie bei einem Arbeitsunfall tun können (dazu unter 4.), beantworten häufige Fragen in diesem Zusammenhang (dazu unter 5.) und zeigen konkrete Schmerzensgeldansprüche aus der Praxis auf (dazu unter 6.) sowie stellen relevante Rechtsprechung dar (dazu unter 7.).
1. Was ist ein Arbeitsunfall?
Ein Arbeitsunfall liegt vor, wenn ein Arbeitnehmer während der Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit oder auf dem direkten Weg zur oder von der Arbeit einen Unfall erleidet (§ 8 Abs. 1 SGB VII). Dabei muss der Unfall in einem Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stehen.
Unfälle sind dabei gesetzlich definiert (§ 8 Abs. 1 SGB VII) als
- zeitlich begrenzte,
- von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse,
- die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen.
Eine versicherte Tätigkeit liegt nicht nur bei typischen Arbeitnehmerverhältnissen, sondern beispielsweise auch während der Ausbildung oder als Student vor (§ 2 SGB VII). Für die Frage, nach dem Vorliegen eines Versicherungsfalls wird auf Grund des Schutzzwecks des Gesetzes auf die Sichtweise des Verletzten abgestellt.
Seit 2021 erstreckt sich der gesetzliche Unfallversicherungsschutz auch auf Tätigkeiten im Home-Office in gleichem Umfang wie im Betrieb. Dies umfasst unter anderem Wege wie den Gang vom Schreibtisch zum Drucker in einem anderen Raum oder den Weg zur erstmaligen Arbeitsaufnahme im häuslichen Arbeitsbereich.
Beispiele für Arbeitsunfälle sind:
- Verletzungen durch Maschinen oder Werkzeuge
- Abstürze von Gerüsten oder Leitern
- Verkehrsunfälle auf dem Arbeitsweg (Wegeunfälle)
- Unfälle durch mangelhafte Sicherheitsvorkehrungen am Arbeitsplatz
- Infektion, wenn der Versicherte sie sich am Arbeitsplatz zugezogen hat
- Unfälle auf dem Weg zur Kantine
Kein Arbeitsunfall liegt beispielsweise in folgenden Fällen vor:
- Kurzes Verlassen der Arbeitsstelle zum privaten Zweck (Beispiel: Rauchen, Trinken, privates Telefonat)
- Verzehr von Nahrungsmitteln
- Handgreifliche Auseinandersetzungen
- Einsatz als Streikposten als Betriebsratsmitglied
- Unfall während Volltrunkenheit
Merke: Arbeitsunfälle liegen vor, wenn Arbeitnehmer während der Ausübung der beruflichen Tätigkeit oder auf dem direkten Weg zur oder von der Arbeit einen Unfall erleiden (§ 8 Abs. 1 SGB VII).
2. Was sind Ihre Ansprüche bei einem Arbeitsunfall?
Nach einem Arbeitsunfall können Ihnen verschiedene Ansprüche zustehen. Diese hängen von der Schwere des Unfalls und den genauen Umständen des Einzelfalls ab.
Zu den wichtigsten Ansprüchen gehören:
1. Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung (§ 104 SGB VII)
Die gesetzliche Unfallversicherung übernimmt:
- Kosten für Heilbehandlungen (Beispiel: Krankenhausaufenthalt, Reha-Maßnahmen)
- Verletztengeld (Lohnersatz während der Arbeitsunfähigkeit, nach Ablauf der 6 Wochen Lohnfortzahlung)
- Rentenzahlungen bei dauerhafter Erwerbsminderung
2. Schadensersatz und Schmerzensgeld
Arbeitgeber haben im Rahmen ihrer Fürsorgepflicht (§ 618 BGB) für sichere Arbeitsbedingungen zu sorgen. Wird ein Arbeitsunfall durch ein schuldhaftes Verhalten des Arbeitgebers oder eines Kollegen verursacht, können Arbeitnehmer sowohl zivilrechtliche als auch strafrechtliche Ansprüche haben.
Diese können unter anderem umfassen:
- Ersatz von Verdienstausfällen
- Schmerzensgeld für immaterielle Schäden
- Ersatz von Sachschäden (Beispiel: zerstörte Arbeitskleidung)
- Strafrechtlich relevante Sachverhalte:
In Fällen grober Fahrlässigkeit oder Vorsatzes können strafrechtliche Konsequenzen für den Arbeitgeber oder Kollegen entstehen.
Arbeitgeber haften gemäß § 104 SGB VII für Schäden, die vorsätzlich verursacht worden sind (wobei „Eventualvorsatz“ – der bedingte Vorsatz iSe. „billigend in Kaufnehmens“ -genügt).
Die Höhe der Entschädigungen hängt stark vom Einzelfall ab. Eine fundierte rechtliche Beratung ist entscheidend, um Ihre Ansprüche optimal durchzusetzen.
Merke: Die gesetzliche Unfallversicherung übernimmt bei Arbeitsunfällen beispielsweise:
Kosten für Heilbehandlungen (Beispiel: Krankenhausaufenthalt, Reha-Maßnahmen),
Verletztengeld (Lohnersatz während der Arbeitsunfähigkeit, nach Ablauf der 6 Wochen Lohnfortzahlung),
Rentenzahlungen bei dauerhafter Erwerbsminderung
3. Welche rechtlichen Schritte kommen in Betracht?
Bei schwerwiegenden Arbeitsunfällen gibt es zum Beispiel folgende rechtliche Schritte:
- Adhäsionsverfahren
Ein Adhäsionsverfahren ist ein Verfahren, um zivilrechtliche Ansprüche, die auf einer Straftat begründen, im Strafverfahren gelten zu machen. Insoweit muss also kein eigenes zivilgerichtliches Verfahren eingeleitet werden.
Vorteil: Durch ein Adhäsionsverfahren können Sie von der staatlichen Sachverhaltsaufklärung profitieren, da das Strafgericht und die Staatsanwaltschaft den Sachverhalt eigenständig ermitteln, Zeugen laden und Gutachten einholen.
Nachteil: Ein Nachteil bei Adhäsionsverfahren ist, dass das Verfahren im Einzelfall zeitaufwendig sein kann, da es von der Dauer des Strafprozesses abhängt.
- Arbeitsgerichtliches Verfahren
Vorteil: Ein Arbeitsgerichtliches Verfahren hat den Vorteil, dass der Ablauf – im Gegensatz zu einem strafrechtlichen Verfahren – schneller ist. Zum Gütetermin kann z.B. innerhalb weniger Wochen geladen werden, zum Kammertermin üblicherweise innerhalb von sechs Monaten.
Nachteil: Einer der Nachteile eines arbeitsgerichtlichen Verfahrens in diesem Zusammenhang ist, dass Sie die volle Darlegungs- und Beweislast tragen. Das bedeutet, Sie müssen selbst Beweise (z. B. Gutachten, Zeugenaussagen) vorlegen.
Merke: Sie können Ihre Rechte beispielsweise in einem arbeitsgerichtlichen oder Adhäsionsverfahren geltend machen!
4. Was tun nach einem Arbeitsunfall?
Denken Sie nach einem Arbeitsunfall u.a. an Folgendes:
- Dokumentieren Sie den Unfall:
Sammeln Sie Beweise (Beispiel: Fotos, Zeugenaussagen) und melden Sie den Unfall unverzüglich Ihrem Arbeitgeber.
- Ärztliche Behandlung:
Lassen Sie sich ärztlich behandeln und stellen Sie sicher, dass der Unfall als Arbeitsunfall dokumentiert wird.
- Widerspruch bei Ablehnung der Berufsgenossenschaft:
Wird Ihr Arbeitsunfall nicht als solcher eingestuft, haben Sie die Möglichkeit, innerhalb eines Monats Widerspruch hiergegen einzulegen.
- Lassen Sie sich rechtlich beraten:
Auf Arbeitsrecht spezialisierte Anwälte helfen Ihnen Ihre Situation einzuschätzen. Kontaktieren Sie uns frühzeitig, um Ihre Ansprüche zu prüfen und die optimale Strategie zu entwickeln.
5. Häufige Fragen zum Thema Arbeitsunfall
a) Was ist ein Arbeitsunfall?
Ein Arbeitsunfall liegt bei einem Unfall während der Arbeit oder auf dem Weg zur beziehungsweise von der Arbeit vor (§ 8 SGB VII).
b) Muss ich den Arbeitsunfall melden?
Ja, Sie sollten den Arbeitsunfall sofort Ihrem Arbeitgeber melden. Dieser informiert die Berufsgenossenschaft.
c) Welche Leistungen übernimmt die Unfallversicherung?
Die Unfallversicherung übernimmt beispielsweise:
- Heilbehandlungen,
- Verletztengeld,
- Reha und Renten bei Erwerbsminderung.
d) Habe ich Anspruch auf Schmerzensgeld?
Ja, Sie können beispielsweise bei Vorsatz des Arbeitgebers oder Wegeunfällen einen Anspruch auf Schmerzensgeld haben.
e) Kann ich Schadensersatz geltend machen?
Ja, Sie können Schadensersatz beispielsweise für Verdienstausfall oder Sachschäden geltend machen, wenn ein Verschulden vorliegt.
f) Auf welche Fristen muss ich achten?
Die regelmäßige Verjährungsfrist für Schadensersatzansprüche beträgt gemäß § 195 BGB drei Jahre.
g) Wie sieht es bei der Haftung unter Arbeitskollegen aus?
Auch für Personen, die im Betrieb tätig sind, gilt eine Haftungsbeschränkung gemäß § 105 SGB VII. Eine Haftung kommt bei Vorsatz und Wegeunfällen in Betracht.
h) Was ist der Vorteil eines Adhäsionsverfahrens?
Einer der Vorteile eines Adhäsionsverfahren ist, dass das Gericht den Sachverhalt selbstständig aufklärt und Sie kein eigenes zivilrechtliches Verfahren einleiten müssen.
6. Beispiele für Schmerzensgeldansprüche aus der Rechtsprechung
Wegeunfall: Orientierung an Schmerzensgeldansprüchen aus allgemeinen Verkehrsunfällen
- Schweres Schleudertrauma und Wachkoma nach grob fahrlässigem Autounfall: EUR 500.000 Schmerzensgeld (OLG Oldenburg 02.09.2014 – 12 U 50/14);
- Polytrauma mit zahlreichen schwerwiegenden Verletzungen, mehrere Wochen in Lebensgefahr: EUR 250.000 Schmerzensgeld (OLG Karlsruhe 24.06.2013 – 1 U 136/12);
- u.a. HWS-Distorsion, eine Nasenbeinfraktur, Multiple Prellungen, Schürf- und Schnittverletzungen, ein Schädelhirntrauma 1. Grades und posttraumatische Belastungsstörung: EUR 30.000 Schmerzensgeld (OLG Schleswig 15.01.2009 – 7 U 76/07).
Arbeitsunfall:
- Querschnittslähmung durch Gerüstunfall wegen fehlender Einhaltung von Unfallverhütungsvorschriften: 250.000 DM (OLG Stuttgart 12.03.1999 – 2 U 74/98);
- Hornhaut- sowie Oberlidrandverletzung wegen Herumwerfens von Wuchtgewichten in einem Kfz-Betrieb durch einen Azubi keine betriebliche Tätigkeit iSd. § 105 SGB VII: EUR 25.000 (BAG 19.03.2015 – 8 AZR 67/14);
- Schwere Fußfraktur unter Gelenkbeteiligung mit erheblichen Schmerzen durch zweifaches überfahren des Fußes mit Gabelstapler durch Kollegen: EUR 10.000 (LAG Schleswig-Holstein 26.04.2016 – 1 Sa 247/15);
- Haftung einer kommunalen Gebietskörperschaft hinsichtlich zukünftiger Schäden von Arbeitnehmern aufgrund asbestfaserhaltiger Bauteile (BAG 20.06.2013 – 8 AZR 471/12).
7. Rechtsprechung zum Thema Arbeitsunfall
- Impfschaden nach Grippe-Impfung als Arbeitsunfall: Ein Unfall muss kein „plötzliches“ oder „unvorhersehbares“ Ereignis sein. Entscheidend ist, dass es sich um ein zeitlich begrenztes Ereignis handelt, das innerhalb einer Arbeitsschicht eintritt. „Unfreiwilligkeit“ oder „Unvorhersehbarkeit“ sind keine Voraussetzungen für den Unfallbegriff, auch wenn der allgemeine Sprachgebrauch dies nahelegen könnte (BSG 27.06.2024 – B 2 U 3/22 R).
- Corona als Arbeitsunfall: Grundsätzlich kann eine Infektion als Arbeitsunfall einzustufen sein. Eine Kassiererin, die nicht zweifelsfrei nachweisen kann, dass sie sich am Arbeitsplatz mit Corona angesteckt hat, hat keinen Anspruch gegen die gesetzliche Unfallversicherung (LSG Berlin-Brandenburg 22.07.2024 – L 3 U 114/23).
- Arbeitsunfall beim Handballtraining: Eine Handballspielerin kann während des Trainings in der gesetzlichen Unfallversicherung versichert sein, wenn sie Beschäftigte eines das Management ihrer Mannschaft betreibenden Vereins ist. Die Zahlung eines Entgelts ist keine zwingende Voraussetzung für den Versicherungsschutz von Sportlerinnen und Sportlern (BSG 23.04.2015 – B 2 U 5/14 R).
- Arbeitsunfall bei der Beschaffung von Ersatzbatterien für ein Hörgerät: Betriebswege sind Wege, die in Ausübung der versicherten Tätigkeit zurückgelegt werden, die Teil der versicherten Tätigkeit sind und damit der Betriebsarbeit gleichstehen. Sie werden im unmittelbaren Betriebsinteresse wahrgenommen und unterscheiden sich von Arbeitswegen iS. des § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII dadurch, dass sie der versicherten Tätigkeit nicht lediglich vorausgehen oder sich ihr anschließen. Vorliegend handelte es sich um eine Fahrdienstleiterin die dazu verpflichtet war, im Dienst funktionstüchtige Hörgeräte zu tragen, sodass die Besorgung von Ersatzbatterien eine arbeitsvertragliche Nebenpflicht darstellte (BSG 27.06.2024 – B 2 U 8/22 R).
- Arbeitsunfall bei Baumfällarbeiten: Ein Unfall bei Baumfällarbeiten auf der Hoffläche eines landwirtschaftlichen Unternehmens kann versicherter Arbeitsunfall sein (SG München 25.08.2023 – S 1 U 5011/23).
- Unfallversicherungsschutz auch an einem „Probetag“: Ein Arbeitsuchender, der in einem Unternehmen einen „Probearbeitstag“ verrichtet und sich dabei verletzt, ist gesetzlich unfallversichert (BSG 20.08.2019 – B 2 U 1/18 R).
Haben Sie einen Arbeitsunfall erlitten und möchten wissen, welche Ansprüche Ihnen zustehen? Unsere Kanzlei unterstützt Sie bei der Durchsetzung Ihrer Rechte – kompetent, engagiert und zielorientiert. Vereinbaren Sie noch heute einen Termin mit uns.