Sie sind als freier Mitarbeiter tätig und wollen sich informieren, welche Kriterien dabei maßgeblich sind und ab wann eine Scheinselbstständigkeit vorliegen kann? Oder befürchten Sie, dass die Scheinselbstständigkeit bereits vorliegt, da Sie nur einen Auftraggeber haben und möchten wissen, ob in diesem Fall auch eine Strafe folgen kann?
Im Folgenden gehen wir auf die Definition der Scheinselbstständigkeit näher ein (dazu unter 1.), erläutern, welche Kriterien dafür vorliegen müssen (dazu unter 2.) und wie man die Gefahr einer Scheinselbstständigkeit vermeiden kann (dazu unter 3.). Weiterhin erklären wir, ob eine Strafe möglich ist (dazu unter 4.) und stellen eine Checkliste für Sie dar (dazu unter 5.).
Anschließend beantworten wir häufige Fragen (dazu unter 6.) und geben einen Überblick über relevante Urteile (dazu unter 7.).
1. Was ist die Definition von Scheinselbstständigkeit?
Scheinselbstständigkeit ist ein empfindliches Thema im Arbeitsrecht. Wird eine Tätigkeit zwar formell als selbstständig eingestuft und entspricht faktisch jedoch einem klassischen Angestelltenverhältnis, dann liegt oftmals eine Scheinselbstständigkeit vor. Es ist in der Praxis allerdings nicht einfach zu beurteilen, wie Gerichte im Falle von Rechtsstreitigkeiten in diesem Zusammenhang entscheiden. Diese Situation entsteht oft, wenn eine Person
- im Auftrag eines Unternehmens arbeitet,
- organisatorisch und wirtschaftlich aber in dessen Strukturen eingebunden ist und
- dem Weisungsrecht des Auftraggebers unterliegt.
Allerdings ist dies von Fall zu Fall unterschiedlich zu bewerten. Scheinselbstständige gelten daher vor dem Gesetz nicht als selbstständig, sondern als Arbeitnehmer. Hiermit gehen alle damit verbundenen arbeitsrechtlichen und sozialversicherungsrechtlichen Konsequenzen einher.
Merke: Scheinselbstständigkeit liegt vor, wenn eine Tätigkeit zwar formell als selbstständig eingestuft, faktisch jedoch einem klassischen Angestelltenverhältnis entspricht.
2. Welche Kriterien müssen für eine Scheinselbstständigkeit vorliegen?
Um eine Scheinselbstständigkeit festzustellen, müssen mehrere Faktoren berücksichtigt werden. Es gibt keinen verbindlichen Kriterienkatalog, denn Gerichte können von Fall zu Fall anders entscheiden. Wichtig ist vor allem, die Betrachtung des Gesamtbildes.
Zu den wichtigsten Kriterien zählen unter anderem:
- Weisungsgebundenheit:
Scheinselbstständige unterliegen häufig Anweisungen bezüglich Arbeitszeit, -ort und -weise. Ein hoher Grad an Weisungsgebundenheit deutet auf ein Arbeitnehmerarbeitsverhältnis hin. Bei freien Mitarbeitern hingegen, beschränken sich die Weisungen des Arbeitgebers eher grob auf die Definition des Auftrags, als dass sie inhaltlich sehr eng sind, wie es bei typischen Arbeitgeberanweisungen beispielsweise der Fall ist.
- Organisatorische Eingliederung:
Ist der vermeintlich Selbstständige stark in die Arbeitsorganisation des Auftraggebers integriert, dann spricht dies auch regelmäßig für ein Angestelltenverhältnis. Freie Mitarbeiter arbeiten oft nicht mit anderen Arbeitnehmern Ihres Auftragsgebers zusammen.
- Fehlende Unternehmerische Freiheit:
Selbstständige haben typischerweise mehrere Auftraggeber und agieren wirtschaftlich unabhängig. Langfristige, ausschließliche Tätigkeiten für einen Auftraggeber können im Einzelfall für ein Angestelltenverhältnis sprechen.
- Vergütung und Risikoübernahme:
Selbstständige tragen das wirtschaftliche Risiko ihrer Tätigkeit und entscheiden selbst über Vergütung und Preisgestaltung. Scheinselbstständige erhalten dagegen oft ein festes Honorar ohne Ergebnisverantwortung.
Die Kriterien sind allerdings nicht abschließend und hängen von den Umständen des Einzelfalls ab. Lassen Sie sich unbedingt in diesem Rahmen anwaltlich beraten.
Merke: Es gibt keinen verbindlichen Kriterienkatalog für die Beurteilung von Scheinselbstständigkeit. Es hängt von einer Gesamtbetrachtung des Einzelfalls ab.
3. Wie kann man die Gefahr einer Scheinselbstständigkeit vermeiden?
Um die Gefahr der Scheinselbstständigkeit zu reduzieren, können sowohl Auftragnehmer als auch Auftraggeber präventive Maßnahmen ergreifen:
- Mehrere Auftraggeber:
Um eine wirtschaftliche Abhängigkeit von einem Auftraggeber zu vermeiden, sollten Selbstständige versuchen mit mehreren Auftraggebern zusammenzuarbeiten.
- Klare Vertragsgestaltung:
Ein schriftlicher Vertrag, der die Tätigkeit und die Selbstständigkeit der Arbeitsweise festhält, schafft Klarheit. Darin sollten insbesondere die Art der Vergütung und die Unabhängigkeit in der Aufgabenbearbeitung geregelt sein.
- Vorsicht bei organisatorischer Einbindung:
Selbstständige sollten darauf achten, ihre Tätigkeit unabhängig zu organisieren und nicht zu stark in die Strukturen des Auftraggebers eingebunden zu sein. Festgelegte Arbeitszeiten oder die Nutzung von Unternehmensmitteln können den Eindruck einer Scheinselbstständigkeit verstärken.
Merke: Um die Gefahr einer Scheinselbstständigkeit vorzubeugen können präventive Maßnahmen ergriffen werden wie beispielsweise eine klare Vertragsgestaltung und keine Starke Einbindung in die organisatorische Struktur des Auftraggebers.
4. Gibt es eine Strafe bei Scheinselbstständigkeit?
Im Falle das eine Scheinselbstständigkeit festgestellt wird, können sowohl für den Auftraggeber als auch für den freien Mitarbeiter, jedoch überwiegend für den Auftraggeber, starke finanzielle und rechtliche Konsequenzen entstehen:
- Nachzahlung von Sozialabgaben und Steuern:
Für den Auftraggeber kann eine rückwirkende Nachzahlung von Sozialabgaben für den vermeintlich Selbstständigen drohen, oft für bis zu vier Jahre und in Höhe von 40 % des Bruttojahresgehalts. Unter Umständen haften auch Auftragnehmer für den Arbeitnehmeranteil. Auch das Finanzamt nimmt den Arbeitgeber rückwirkend für nicht abgeführte Lohnsteuer in Anspruch.
- Bußgelder und strafrechtliche Konsequenzen:
Wenn die Scheinselbstständigkeit vorsätzlich vom Auftraggeber verschleiert wird, dann können Bußgelder und möglicherweise strafrechtliche Verfahren gegen das Unternehmen drohen. Die Höhe des Bußgeldes variiert je nach Verstoß, kann aber hohe Summen erreichen. Auch der Entzug der Gewerbeerlaubnis kann dem Auftraggeber drohen.
- Arbeitsrechtliche Ansprüche:
Scheinselbstständige haben rückwirkend Anspruch auf arbeitsrechtliche Schutzrechte, wie etwa Kündigungsschutz oder Urlaub. Unter Umständen kann auch eine betriebliche Altersversorgung nachträglich eingefordert werden.
Merke: Das Vorliegen einer Scheinselbstständigkeit hat überwiegend für den Auftraggeber starke finanzielle Nachteile (Beispiel: Nachzahlung von Sozialabgaben und Steuern).
5. Checkliste: Scheinselbstständigkeit oder freier Mitarbeiter?
Für die Einschätzung, ob eine Tätigkeit eher einer freien Mitarbeit oder einer festen Anstellung entspricht, kann folgende Checkliste hilfreich sein:
- Kann der freie Mitarbeiter frei seinen Arbeitsort und seine Arbeitszeit auswählen?
- Ist der freie Mitarbeiter in die Arbeitsorganisation des Auftraggebers eingebunden?
- Hat der freie Mitarbeiter andere Auftraggeber?
- Trägt der freie Mitarbeiter das wirtschaftliche Risiko?
- Erfolgt die Bezahlung unabhängig vom Arbeitsergebnis?
- Hat der freie Mitarbeiter Urlaubstage oder wird auch im Krankheitsfall bezahlt?
- Hat der freie Mitarbeiter die Möglichkeit, Aufträge abzulehnen?
- Hat der freie Mitarbeiter einen eigenen Arbeitsplatz im Unternehmen?
- Ist die Vergütung des freien Mitarbeiters ein Teil seines Lebensunterhalts oder ein wesentlicher Bestandteil davon?
- Ist die Tätigkeit des freien Mitarbeiters typisch für Selbstständige?
Diese, nicht absolut geltende, Checkliste kann Hinweise auf eine Scheinselbstständigkeit geben. Einer unserer Anwälte kann Ihnen bei der Beurteilung Ihres Arbeitsverhältnisses weiterhelfen.
6. Häufige Fragen zur Scheinselbstständigkeit
a) Kann ich auch selbstständig sein, wenn ich „nur“ für einen Auftraggeber arbeite?
Ja, auch wenn Sie nur einen Auftraggeber haben, können Sie selbstständig tätig sein. Es ist jedoch Vorsicht geboten, denn ein langfristiges und ausschließliches Engagement für nur einen Auftraggeber kann das Risiko einer Scheinselbstständigkeit bergen.
b) Was passiert, wenn ich meine Scheinselbstständigkeit selbst melde?
Eine Selbstanzeige kann in manchen Fällen helfen, Sanktionen zu verringern, jedoch sind nachträgliche Sozialabgaben trotzdem oft zu leisten.
c) Kann ich als freier Mitarbeiter bei einem Verdacht auf Scheinselbstständigkeit gekündigt werden?
Grundsätzlich können Sie den Auftrag verlieren, wenn sie als scheinselbstständig eingestuft werden. Werden Sie jedoch nachträglich als Arbeitnehmer eingestuft, wie es im Falle der Feststellung der Scheinselbstständigkeit der Fall ist, dann greifen für Sie arbeitsrechtliche Schutzrechte, wie beispielsweise Kündigungsschutz.
d) Wie lässt sich Scheinselbstständigkeit bei kurzfristigen Projekten vermeiden?
Bei kurzfristigen Projekten ist es wichtig, dass Auftragnehmer die Freiheit haben, das Projekt nach eigenem Ermessen zu gestalten, um das Bild der Selbstständigkeit zu wahren.
e) Gibt es Branchen, die besonders von Scheinselbstständigkeit betroffen sind?
Branchen wie
- Medien,
- IT,
- Transport,
- Bau und
- Pflege
sind oft betroffen, da hier viele Auftragnehmer in projektbasierten oder langfristigen Abhängigkeitsverhältnissen arbeiten.
f) Liegt sofort Scheinselbstständigkeit vor, wenn ich nur einen Auftraggeber habe?
Nein, ein einzelner Auftraggeber allein bedeutet nicht automatisch Scheinselbstständigkeit. Weitere Kriterien wie Weisungsgebundenheit, Arbeitszeiten und Eingliederung in die Organisation sind entscheidend. Letztendlich zählt die Gesamtbetrachtung des Einzelfalls.
g) Welche steuerlichen Konsequenzen hat eine Scheinselbstständigkeit?
Bei Feststellung müssen Sozialabgaben und Steuern nachgezahlt werden. Der Auftraggeber kann mit Bußgeldern und strafrechtlichen Folgen rechnen. Zudem kann es zu Korrekturen bei der Umsatzsteuer kommen.
7. Rechtsprechung zur Scheinselbstständigkeit
- Honorarärzte in Krankenhäusern sind regelmäßig nicht als Selbstständige, sondern als Beschäftigte des Krankenhauses anzusehen, wodurch sie der Versicherungspflicht unterliegen. Entscheidend für die Beurteilung ist, dass die Betroffenen weisungsgebunden bzw. in eine übergeordnete Arbeitsorganisation eingegliedert sind. Nicht entscheidend ist, dass es sich um einen Dienst „höherer Art“ handelt; die Höhe der Vergütung allein ist nicht entscheidend (BSG 04.06.2019 – B 12 R 11/18 R).
- Stellt sich ein vermeintlich freies Dienstverhältnis im Nachhinein als Arbeitsverhältnis dar, kann in der Regel nicht davon ausgegangen werden, die für freie Mitarbeit vereinbarte Vergütung sei der Höhe nach auch für eine Beschäftigung als Arbeitnehmer verabredet (BAG 26.06.2019 – 5 AZR 178/18).
- Eine Fachkrankenschwester im Operationsdienst (OP-Krankenschwester), die in die Planung und Koordinierung durchzuführenden Operationen seitens der Klinik verbindlich einbezogen wird, den hygienischen Bestimmungen der Klinik und den Anweisungen des behandelnden Arztes unterliegt, ist im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses tätig (LSG Hessen 26.03.2015 – L 8 KR 84/13).
- Honorarpflegekräfte in stationären Pflegeeinrichtungen sind ebenfalls regelmäßig sozialversicherungspflichtig. Hierfür spreche vor allem die Eingliederung in die Organisations- und Weisungsstruktur der Pflegeeinrichtung und das geringe Unternehmensrisiko der Angestellten (BSG 07.06.2019 – B 12 R 6/18 R).
- Busfahrer ohne eigenes Fahrzeug sind in der Regel abhängig Beschäftigte (SG Würzburg 29.07.2011 – S 1 R 691/10).
- Musiklehrer können trotz Vorhandenseins eines Lehrplans selbstständig Beschäftigte sein. Je nach Ausgestaltung der konkreten Beziehungen kann aber genauso gut auch eine abhängige Beschäftigung vorliegen. Bei Fehlen eindeutiger Zuordnungsmerkmale kann dem zugrundeliegenden Vertrag eine gewichtige Rolle zukommen (BSG 14.03.2018 – B 12 R 3/17 R).
Wollen Sie sich im Zusammenhang mit Scheinselbstständigkeit ausführlich beraten lassen? Vereinbaren Sie gerne einen Termin bei uns, wir prüfen das Risiko einer Scheinselbstständigkeit und beraten Sie umfassend im Hinblick auf dieses Thema.